Weil die Deichman-Bibliothek im Quartier Oppsal gerade umgebaut wird, konnten wir anlässlich unserer Reise zwar nicht vor Ort anschauen, wie eine Bibliothek funktioniert, die sich an den älteren und verletzlichsten Kundinnen und Kunden orientiert. Aber Leiterin Mari Gudim Torp erklärte uns im Anschluss an die Besichtigung von Bjørvika begeistert, warum es gerade diese Bibliothek braucht und wie das Konzept dazu aussieht. Ihr Feuer ist wohl auf die eine oder den anderen von uns übergesprungen.
Fokus auf ältere Personen und Menschen mit Demenz
Üblicherweise sind die Hauptzielgruppen der Deichman-Bibliotheken junge Leute, Familien und Kinder. Das sieht man, wenn man Orte wie Tøyen oder Bjørvika besucht. Oslo hat sich aber auch zur altersfreundlichen Stadt erklärt, was sich etwa an auffällig vielen Sitzbänken in der ganzen Stadt oder Turngeräten in öffentlichen Parks zeigt. In Oppsal zählen 15 Prozent der Bevölkerung zu den Seniorinnen und Senioren. Von Demenz sind nicht nur Betagte, sondern auch jüngere Menschen betroffen. In ganz Norwegen sind das ca. 17'000, in Oslo allein ca. 7'000 Personen. Bibliotheken, die sich an Älteren und Menschen mit Demenz orientieren, gibt es erst ganz wenige, zumindest in Europa. Oppsal ist die erste Bibliothek Norwegens mit dieser Ausrichtung.
Was brauchen Menschen mit Demenz?
Die Krankheit zeigt sich nach aussen an unterschiedlichen Merkmalen in verschiedener Stärke und Deutlichkeit, was es für Aussenstehende schwierig macht, sie zu erkennen. Wichtig ist für Betroffene, dass sie auch weiterhin Aussenkontakte haben – die Bibliothek kann da ein Ankerpunkt im Alltag sein. Menschen mit Demenz sind verletzlich – wenn sie zum Beispiel ihren Ausweis nicht gleich hervorkramen können und Wildfremden ihr Portemonnaie unter die Nase halten. Es braucht Geduld, sagt Mari, auch wenn sie immer wieder dasselbe fragen. Das Bibliothekspersonal soll nur helfen, wenn es darum gebeten wird, aufmerksam sein, die Anzeichen erkennen und wissen wie reagieren. Aber nicht nur das.
Tipps von Betroffenen für den Umbau...
In Oppsal wurden nach einem Awareness-Training und Infos von Fachpersonen auch in kleinen Gruppen mit Betroffenen gesprochen. Dabei kam viel Interessantes zusammen, das in den Umbau der Bibliothek einfliessen soll. Für Menschen mit Demenz sind etwa Farben und Licht besonders wichtig. Um Farben zu erkennen, brauchen ältere Augen mehr Licht als jüngere. Die Kontraste müssen stark sein, damit etwa die Sitzfläche auf einem Sessel als solche erkannt wird. Wasserhähne sollten einfach zu bedienen sein – am besten in einem traditionellen Design, bei dem klar ist, wo das Wasser rauskommt und wie man den Hahn anstellt. Das WC zu finden, ist besonders wichtig, und nicht immer ist die Tür dorthin auf Anhieb erkennbar. Mari Gudim Torp rät, die WC-Tür in einer anderen Farbe als die anderen Türen zu streichen, damit sie sich klar abhebt, auch vom Hintergrund.
... und für den Bibliotheksalltag
Auch für die Bibliothek und die Alltagsarbeit waren die Gespräche und Schulungen ergiebig. Ein «Willkommen in der Bibliothek» schafft Orientierung, mehr als nur «Guten Tag». Ältere Menschen wollen nicht, dass Veranstaltungen als «für Senioren und Seniorinnen» deklariert werden. Eine ideale Veranstaltung dauert 45 Minuten und ist möglichst regelmässig. Tolle Titel braucht man sich keine zu überlegen – «Dienstagsanlass» oder Ähnliches ist einfacher zu merken: immer dienstags also etwas mit Vorlesen, immer freitags Konzert usw. Eine Veranstaltung sollte eingerahmt werden von einer Begrüssung und einer Verabschiedung, damit alle wissen, wann es losgeht und fertig ist. Ein Mikrofon verbessert das Hören, eine Abtrennung mit Vorhang oder Paravent sorgt für mehr Geborgenheit und weniger Ablenkung. Papierwerbung wurde gewünscht, und das frühzeitig. Angebote per Touchscreen sind für ältere Menschen schwierig, da die Fingerspitzen kalt und oft mit weniger Gefühl sind als bei jüngeren Händen. Und bei den Regalbeschriftungen sind weisse Rahmen sinnvoll, die das schwarze Schild begrenzen – so sind die Schilder klar erkennbar.
Mari Gundim Torp und ihr Team haben eine lange Liste von Massnahmen, die eine alters- und demenzfreundliche Bibliothek ausmachen. Ihr Ziel ist es, möglichst viel davon in der neuen Bibliothek Oppsal umzusetzen. Entstehen soll eine möglichst angenehme, gemütliche Bibliothek, in der sich die Betroffenen besonders wohlfühlen. Aber nicht nur sie – eine alters- und demenzfreundliche Bibliothek tut allen gut, findet Mari. Ab März 2023 kann man sich im Osloer Quartier Oppsal davon überzeugen, ob das stimmt.